Rudolf Nurejew
Der Künstler, den ich über alle Maßen verehrte und bewunderte, war Rudolf Nurejew. Ab dem Jahre 1965 hatte ich alle Vorstellungen, die er an der Wiener Staatsoper tanzte, gesehen. Schon im Jahre 1963 begegnete er mir in der Mahlerstraße das erste Mal persönlich. Obwohl ich ihn noch niemals zuvor sah, erkannte ich sofort: Das ist Rudolf Nurejew. Niemals werde ich diesen ersten Eindruck von ihm vergessen, als er mit russischer Schirmkappe, grauem Kurzmantel sowie Stiefel entgegenkam und mir ernst ins Gesicht blickte. Ich war wie erstarrt, danach aber überschwänglich beglückt. Ich arbeitete in einem Büro in der Mahlerstraße und hatte ich nur wenige Schritte bis zum Bühnentürl der Oper. Meine Mittagspause, die ich meist ausweitete, nützte ich stets, um dort zu sein und vielleicht einen Blick von ihm zu erhaschen. Ich war fast eine Stalkerin, denn rasch hatte ich erkundet, wo er wohnte. Anfangs wohnte er im Hotel Imperial, in späterer Folge hatte er eine Etage im obersten Stockwerk des Hauses am Schottenring gemietet, in dem das Votivpark-Kino untergebracht ist. Da ich untertags nicht dorthin konnte, weil die Wohnung in zu großer Distanz zur Mahlerstraße war, beauftragte ich einen meiner jungen Verehrer, der als Musikschüler immer mit seiner Geige unterwegs war, zur Wohnung von Nurejew zu gehen und genaue Aufzeichnungen zu führen, was Nurejew hinter der verschlossenen Tür tat. Damals gab es noch keine Hauseingangssperren wie heutzutage, daher war es leicht, in die vierte Etage hinaufzugehen, wo Nurejew wohnte. Der junge Mann führte Buch über jedes Detail, das er hören konnte, jede Musik, die aus Nurejew Wohnungstür zu vernehmen war und Tanzbewegungen, die Nurejew hörbar durchführte. An Wochenenden fuhr ich mit meinem damaligen Auto, einem blauen NSU Prinz, zur Hessgasse, von wo ich einen guten Blick auf die Fenster von Nurejew hatte. Meine Mutter begleitete mich öfters, denn für solche Verrücktheiten hatte sie stets Verständnis. Leider arbeitete ich erst einige Jahre später in der CA. Wenn ich zu Nurejews Schottenring-Zeit dort gearbeitet hätte, wäre ich vermutlich mit Fernrohr an dem Bürofenster gesessen und hätte immer hinübergeblickt. Er, der große Rudolf Nurejew hatte sogar eines Tages das Wort an mich gerichtet! Nachdem ich täglich in meiner Mittagspause auf ihn wartete, fragte er mich eines Tages "Do you spend all time here?" Das war ein sagenhaft beglückendes Erlebnis, denn es hieß, dass er mich tatsächlich bemerkte, mich wahrnahm! Eine Sensation! Anderen Fans begegnete er nicht so freundlich. Oft bewarf er sie mit dem Kugelschreiber, den sie ihm erwartungsvoll entgegenstreckten. Doch zu mir war er stets höflich und nett. Als die Dreharbeiten zu dem Film "Schwanensee" in den Rosenhügel-Studios stattfanden, fuhr ich mit meinem Auto täglich nach dem Büro dorthin. Ein Maskenbildner der Oper, Detlev hieß er, schummelte mich in die Studios hinein. Ich war verkleidet als Friseuse. Meine Mutter, die ich als Putzfrau verkleidete, schummelte ich auch hinein. Da ich den Garderobier von Nurejew aus der Oper gut kannte, durfte ich sogar das gebrauchte Suspensorium von Nurejew waschen! Das war für mich natürlich sensationell. Irgendwann fiel es Nurejew doch auf, dass ich nicht hier her gehörte und ließ mich entfernen. Aber es dauerte nicht lange, dann schummelte ich mich bei der nächsten Tür wieder hinein. Schließlich gab er auf und ich konnte die Dreharbeiten fast gänzlich mitansehen. Er ließ sich in einem weißen Bentley chauffieren. Manchmal begleitete ihn sein damaliger Freund, der Tänzer Erik Bruhns, zu den Dreharbeiten. Bruhns war stets ganz in Weiß gekleidet. Die beiden waren ein schönes Paar. |