Erzengel Micaela

"Carmen" von George Bizet

Vorstellung in der Wiener Staatsoper vom 3. Mai 2010

Anna Netrebko als Micaela entpuppte sich diesmal als Engel, der den Glanz des Abends rettete. Denn es sollte mit entsprechendem Staraufgebot eine Vorstellung der Superlative werden, doch davon übrig blieb aufgrund zahlreicher Absagen ein Repertoireabend, allerdings mit Sahnehäubchen Anna Netrebko.

Es wäre aber verfehlt, der nun verbliebenen Sängerriege eine gewisse Klasse abzusprechen, nur ist es eben nicht die allererste.

Die Einspringerin Nadia Krasteva ist optisch eine herzeigbare Carmen, die auch stimmlich mit ihrem Mezzosopran durchaus in der Lage ist, viele Facetten auszuspielen. Ein wenig mehr an Dämonie könnte ihr allerdings nicht schaden.

Massimo Giordano ist ein junger, gut aussehender Don José. Sein heller Tenor bewegt sich allerdings zu kopflastig, ohne Stütze seiner Mitte, und somit kann auch er bald Stimmprobleme erwarten.

Sehr gut aussehend erscheint Ildebrando D'Arcangelo als Escamillo und stimmlich ist er mit seinem Bariton durchaus in der Lage, mit dieser heiklen Partie zurechtzukommen. Protestaktionen des Publikums sind hier wirklich fehl am Platze.

Die Partie der Micaela gibt Anna Netrebko wieder die Möglichkeit, ihren warmen Sopran voll auszuschöpfen und das Publikum mit lustvoll satten Tönen zu verwöhnen. Sie ist der Star des Abends und vermittelt als Einzige dem Publikum das Gefühl, etwas ganz Besonderem beizuwohnen.

Von Andris Nelsons als Dirigent werden immer wieder Wunderdinge berichtet. Er bringt viel Temperament mit, dirigiert leidenschaftlich und flüssig, wobei manche Musiker doch ziemlich gehetzt klingen und Ungenauigkeiten zulassen müssen. Nelsons atmet zudem zu wenig mit den Sängern und dem Chor. Allerlei Unstimmigkeiten waren die Folge, welche eines wirklich großen Dirigentens nicht würdig sind.

Der Name Zefirelli bürgt auch jetzt nach 32 Jahren für Qualität. Zum Glück beließ man seine Inszenierung mit diesen herrlichen Bühnenbildern, die dem Publikum auch visuell ein großes Opernerlebnis bieten.

Viel Beifall für Anna Netrebko, gleichfalls für Krasteva und Giordano. Ansonsten freundliche Zustimmung, aber keine Euphorie.

Wien, 4. Mai 2010
Eleonore Moser